Erwitte, Pfarrkirche St. Laurentius - Plenum des Hauptgeläutes + Sologeläut der Familienglocke
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 Published On Jul 13, 2019

Die weite, westfälische Bördelandschaft entlang der alten Handelsstraße, dem Hellweg, wird geprägt durch eine Reihe machtvoller Kirchtürme. Besonders eindrucksvoll erhebt sich der Turm der Pfarrkirche St. Laurentius in Erwitte als solitäre Landmarke in die Umgebung. Zur um 1166 erbauten, romanischen Basilika gesellt sich seit ca. 1230 der heute 78,4 Meter hohe Baukörper. Die enge Verbindung zum Patroklistift zu Soest, Erwitte wurde 1482 inkorporiert, schlägt sich auch an der aufwändigen Gestaltung außen wie innen nieder. Im Grenzgebiet des kurkölnischen Sauerlandes und des Hochstiftes Paderborn gelegen, diente der Turm immer auch als Wehrturm und wurde in etlichen Fehden beschädigt. Nach den Zerstörungen im 30jährigen Krieg erhielt der Turm 1710 ein Kreuzsatteldach mit barocker Turmlaterne.

Die Kirche selbst wurde im 19. Jh. maßvoll neoromanisch erweitert und 2006 letztmalig im Inneren saniert. Die zeitgemäße und edle Neugestaltung des Raumes fand 2016 mit der Errichtung der äußerst bemerkenswerten Orgel durch die Manufacture d´Orgues Dr. Bernard Albertin, Courtefontaine (F) ihre Vollendung.

Bei Sanierungsarbeiten am Turmdach entwickelte sich am 22.10.1971 ein Großbrand, bei dem der Turm komplett ausbrannte und auch der barocke Chordachreiter vernichtet wurde. Noch heute ist im Turm an manchen Stellen die enorme Hitze des Brandes nachvollziehbar. Das bis dahin bestehende Geläut a° h° d‘ e‘ fis‘ a‘ (d‘ Bronze, 1655, die anderen Glocken 1951 o. 52 u. 59 (Gl. 1) vom Bochumer Verein in V7-Rippe) gilt als durch den Brand vernichtet, die a° ist auf der Nordseite der Kirche als Denkmal aufgestellt.

Beim Wiederaufbau entschied man sich schnell und mutig für eine Rekonstruktion des vermuteten Originalzustandes des Turmes mit hohem Helm und 4 Ecktürmchen wie in Soest und Paderborn. Bereits 1972 wurde in der Glockengießerei Petit & Gebr. Edelbrock in Gescher durch Hans Huesker das bis heute bestehende Geläut gegossen, in seiner Gesamtheit ein schönes Zeitdokument von beeindruckender Klangqualität!

Bereits 2013 wurde durch einen Erwitter Bürger die Ergänzung um eine weitere, große Glocke, u. a. zur zusätzlichen Erinnerung an den Turmbrand 1971, angeregt. Es bildete sich schnell ein Stifterkreis aus Erwitter Familien, die die Kosten für Glocke und Einbau komplett übernahmen. Ein gleichermaßen nobles wie zeitloses Geschenk für die Pfarrkirche! Aus dieser Entwicklung rührt auch die Bezeichnung „Familienglocke“. Bis heute sind die Höhe der Stiftungen sowie die Stifternamen ungenannt. Durch eine Unterbrechung des Projektes durch den Orgelbau wurde die Glocke erst Anfang 2018 gegossen und am 31.10.2018 erstmals offiziell geläutet.

Der Guß erfolgte in der Glockengießerei Royal Eijsbouts in Asten (NL), zur Anwendung kam die auch für die beiden neuen Paderborner Domglocken genutzte, schwere Rippe der Briloner Glockengießerei Junker. Aufgehängt wurde sie oberhalb des denkmalwerten Bestandes in einem neuen Stahlglockenstuhl an einem überschweren Holzjoch. In diesem Bereich hat der Turm zwar keine Schallfenster, doch schafft es die Glocke aufgrund ihrer enormen Rippenstärke gut, sich im Geläut zu behaupten. Vielleicht vermisst der Fachmann die schlagkräftige Basierung, hier umfängt die große Glocke vielmehr das Geläut mit ihrem Klang, eine so sicher nicht übliche aber hochinteressante Klangwirkung. Entwurf der Glockenzier: Gebr. Winkelmann, Möhnesee-Günne. Gemeinde und Stifterkreis sind zur glücklichen Vollendung des Projektes herzlich zu beglückwünschen!

Geläutedaten:

1. Familienglocke Christus-Salvator
g° -4,5, 2252 mm, 7960 kg

2. Josef
h°, ~1700 mm, ~3100 kg

3. Laurentius
d‘, ~1410 mm, ~1800 kg

4. Rochus
e‘, ~1240 mm, ~1250 kg

5. Agatha
fis‘, ~1100 mm, ~850 kg

6. Maria
g‘, ~1030 mm, ~700 kg

7. Heinrich
a‘, ~903 mm, ~500 kg

8. Hubertus
a‘‘, ~520 mm, ~140 kg

9. Anna
h‘‘, ~480 mm, ~110 kg

Glocken 8+9 2008, P&E, Gescher.

Aufnahme: 08.06.2019 im Rahmen eines Sondergeläutes. Das zu Beginn zu hörende kurze Kleppgeläut diente als „Warnung“ für eine noch im Turm befindliche Besuchergruppe.

Foto der barocken Turmhaube: Quelle 1

Foto vom Turmbrand: Quelle 2.

Alle anderen Fotos eigener Provenienz.

Herzlicher Dank gilt dem Beauftragten des Kirchenvorstandes für Orgel- und Glockenbau Herrn A. Pieper für die Begleitung auf den Turm und die umfangreichen Erläuterungen sowie Herrn Pastor Westermann für die Erlaubnis zu Turmbegehung, Sondergeläut und den schönen Abend in Erwitte!

Genutzte Quellen/Literatur:

1. Kath. Pfarramt Erwitte (Hrsg.): Franz Schauerte: Die Pfarrkirche St. Laurentius und die Kapellen der kath. Pfarrei Erwitte, Laumanns Druck- und Verlagsgesellschaft mbH, Lippstadt, 1986

2. Kath. Pfarrgemeinde Erwitte (Hrsg.): Büker/Schauerte/Westermann: St. Laurentius-Kirche in Erwitte, Wolff Werbung GmbH, Rüthen, 2010.

3. Weiterführende Informationen zum Werdegang der Familienglocke von Herrn A. Pieper, übermittelt durch den Erwitter Pastor Westermann

4. Einladungsblatt zur Glockenweihe, Erwitte 2018.

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